Die vorliegende Arbeit untersucht den Umgang mit dem Thema Christenverfolgung im 21. Jahrhundert in Print- und Online-Redaktionen in Deutschland. Zusätzlich werden die Gründe für diesen Umgang ermittelt. Dazu wurden im Juni 2023 sieben Leitfadeninterviews mit Print- und Onlineredakteuren der Zeit, des Kölner Stadtanzeigers, der Welt und der Tagespost geführt. Da bisher keine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema vorliegt, wurde im Vorfeld eine quantitative Medienanalyse der vier genannten Zeitungen durchgeführt. Ziel war es, die Menge der Berichterstattung über Christenverfolgung im Zeitraum vom 01.01.2018 bis 01.01.2023 im Vergleich zur Berichterstattung der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) zu untersuchen. Zur weiteren Vertiefung des Themas wurde zudem ein Leitfadeninterview mit einem Experten für Religionsfreiheit und Christenverfolgung geführt.
Fast zwei Drittel der Weltbevölkerung lebt in Ländern, in denen die Religionsfreiheit schwer verletzt wird. Christen sind mit mindestens 360 Millionen Betroffenen weltweit die größte Gruppe – daher wird derzeit von der größten Christenverfolgung aller Zeiten gesprochen. Immer wieder werden Stimmen laut, die bemängeln, dass dieses gesellschaftlich wichtige Thema im Westen nicht genug öffentliche Aufmerksamkeit erfahre.
Die quantitative Medienanalyse zeigt, dass die katholische Tagespost innerhalb desselben Zeitraums sogar mehr Berichterstattung aufweist als die KNA. Im Gegensatz dazu fällt die Berichterstattung der anderen drei Zeitungen deutlich geringer aus. Die Ergebnisse der Leitfadengespräche ergeben, dass die quantitative und qualitative Berichterstattung über Christenverfolgung als nicht zufriedenstellend betrachtet wird. Es haben sich folgende Gründe für diese Defizite herauskristallisiert: Auch wenn die Relevanz des Themas an sich als hoch eingeschätzt wird, gilt dies nicht für die journalistische Relevanz, die sich am Interesse der – zunehmend säkularen – Leser orientiert. Vor allem bei den durchschnittlich zehn Jahre jüngeren Online-Lesern ist das Interesse für religiöse Themen verschwindend gering. Nachrichtenfaktoren wie Nähe und Thematisierung spielen ebenso eine Rolle wie spezifische Herausforderungen, die in der Instrumentalisierung des Themas durch rechtspopulistische Bewegungen sowie in der Schwierigkeit bestehen, an seriöse Informationen zu gelangen. Zu den Kompetenzen, die erforderlich sind, um (qualitativ) über das Thema schreiben zu können, gehören eine gewisse religious literacy und religious freedom literacy, die jedoch nach Aussagen der Gesprächspartner bei vielen Journalisten nur begrenzt vorhanden zu sein scheint. Wichtige persönliche Einflussfaktoren des Journalisten können seine Biografie und Weltanschauung sein. Darüber hinaus spielen spontane, oft unbewusste Assoziationen zum Thema Christenverfolgung eine Rolle. Als Teil der Auslandsberichterstattung – die auf ein geringeres Leserinteresse stößt als die Inlandsberichterstattung – leidet die Quantität und Qualität des Themas Christenverfolgung auch unter dem Rückgang der Budgets und der Zahl der Korrespondenten.